Partizipation

Seit einiger Zeit erhält der Begriff der „Partizipation“ in der sozialen Arbeit eine neue Renaissance. Ihm werden erhebliche salutogene Effekte zugeschrieben. Partizipation avanciert zum neuen Schlüsselbegriff für Erfolgswirksamkeit und hohe Qualität erzieherischer Arbeit. Partizipation beinhaltet konzeptionell sowohl Beteiligungsrechte als auch die Möglichkeit für Kinder und Jugendliche, in Beschwerdeangelegenheiten Anhörung zu finden. Beteiligungsrechte und Beschwerdemöglichkeiten sind wesentliche Grundlagen für die Verwirklichung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und dem Schutz vor Gefahren für ihr Wohl.

Daher beschäftigten sich am Do, den 19.4.2012 die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kinder- und Jugendhilfebereiches mit der Fragestellung, ob es schon Partizipationselemente im Heimalltag gibt und wie diese genau aussehen.

 

Partizipation als wichtiger Schritt in Richtung Zukunft

Die Forderung nach Partizipation von Seiten des Kinderschutzes und der UN-Kinderrechtskonvention hat nun zusätzliche Verstärkung durch empirische Forschungsergebnisse erfahren.
Empirisch konnte nachgewiesen werden, dass positive Entwicklungen maßgeblich durch erlebte Selbstbeteiligungsmöglichkeiten während des Aufenthaltes in Jugendhilfeeinrichtungen beeinflusst werden. Möglichkeiten der Beteiligung fördern die Selbstwirksamkeit und die Selbstbestimmungskompetenzen und somit auch die Möglichkeiten auf ein selbstbestimmtes Leben (vgl. Albus 2011).
Durch Beteiligungsmöglichkeiten werden die Fähigkeiten der Jugendlichen gefördert, materielle, infrastrukturelle und soziale Ressourcen so zu nutzen, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen können.

 

Gelebte Partizipationsmöglichkeiten in St. Bonifatius

Gleich von Anfang an:
Auf die Möglichkeiten zur Partizipation und zur Beschwerde werden Kinder und Jugendliche sowie die Personensorgeberechtigten in dem Vorstellungsgespräch des Kindes/ Jugendlichen in der Einrichtung hingewiesen. Dies wird mit einer altersgerechten Handreichung an das Kind/ den Jugendlichen unterstützt -vgl. Anlage 1-.
In dieser Handreichung und im Gespräch mit dem Bezugsbetreuer nach Aufnahme des Kindes/ Jugendlichen wird erläutert, dass es unter bestimmten Umständen (Pflicht zur Weitergabe von Informationen bei Gefährdung des Wohls des Kindes/ Jugendlichen) notwendig sein kann, dass die Informationen weitergegeben werden, welche das Kind/ der Jugendliche anvertraut hat. Das Kind/ der Jugendliche wird in einem solchen Falle über den Umfang, die Adressaten und den Zweck der Weitergabe der Daten informiert.

Bei der Hilfeplanung:
Zu Beginn der Hilfemaßnahme wird der Jugendliche über den Sinn und den Ablauf des Hilfeplanverfahrens sowie über die in diesem Rahmen bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten informiert.
Es findet eine intensive Vorbereitung des Jugendlichen auf das Hilfeplangespräch mittels Durchsprechen der Tischvorlage, Abgleich der Sichtweisen des Jugendlichen und des Betreuers, Vorbereitung auf eigene Stellungnahme im Hilfeplangespräch sowie Beteiligung bei der Zielentwicklung statt. Derzeit ist ferner in Planung dem Jugendlichen auch didaktische Anleitungen an die Hand zu geben mit denen er in ein HPG gehen kann.

Jedes Hilfeplangespräch wird in regelmäßigen Abständen mit dem Jugendlichen nachbesprochen.
Diese Vor- und Nachbereitungen der Hilfeplangespräche finden in den wöchentlichen Einzelgesprächen mit dem Bezugsbetreuer statt. Hier werden mit dem Jugendlichen auch weitere Möglichkeiten zur Partizipation ausgelotet.

 

Im Gruppenalltag und bei der Freizeitgestaltung:

Einmal wöchentlich findet in jeder Gruppe eine Jugendkonferenz (gemeinsamer Gruppenabend) statt, auf der sowohl von den Jugendlichen als auch von den Betreuern Themen eingebracht werden.

Für den Auflauf dieser JuKo gibt es Regeln, die mit den Jugendlichen erarbeitet worden sind.
Der allgemeine Regel- und Konsequenzenkatalog der Einrichtung wird jedem Jugendlichen bei Aufnahme genau erklärt.
Derzeit wird gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen ein Rechtekatalog erarbeitet, der zeigt, welche Rechte die Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung haben. Dieser Katalog wird in ansprechender, altersgerechter Form veröffentlicht.
Jede Wohngruppe hat einen Gruppensprecher. Dieser wurde von den Jugendlichen selbst gewählt. Zu den Funktionen des Gruppensprechers gehören:

  • das Sammeln von Anliegen und Wünschen der jugendlichen Bewohner, welche der Gruppensprecher an die Gruppenleitung heranträgt
  • Vermittlung bei Konflikten unter Jugendlichen
  • Unterstützung von Jugendlichen bei einem Konfliktklärungsgespräch mit einem Mitarbeiter
  • Moderation in der JuKo

Gemeinsam mit den Jugendlichen werden Ideen für Gruppen- und Einzelaktionen gesammelt und geplant.

Die Jugendlichen können sich an der Freizeitgestaltung sowie der Wochenendgestaltung in der Gruppe beteiligen.
Wahrzunehmende Termine wie zum Beispiel Gespräche bei den einrichtungsinternen Psychologinnen werden mit den Jugendlichen zusammen ausgemacht.
Neu aufgenommene Jugendliche bekommen einen jugendlichen Mentor (Prinzip der „peer-education“) an die Seite gestellt, der sie bei der Eingewöhnung unterstützt und ihnen als  Ansprechpartner bei Fragen zum Regelwerk, zu Abläufen in der Gruppe und allgemeinen Fragen zur Verfügung steht. Der Mentor zeigt dem neuen Jugendlichen die Wohngruppe, das Außengelände und die nähere Umgebung. Er hilft dem neuen Jugendlichen, gut in der Wohngruppe anzukommen und Kontakte zu anderen Jugendlichen zu knüpfen.

Äußerungen von Wünschen für die Gestaltung des Essensplanes werden berücksichtigt. Zusätzlich kochen in den Ferien und am Wochenende die Jugendlichen das Essen für die Gruppe selbst.
Über Möglichkeiten der Beteiligung und deren Umsetzung wird alle drei Monate in einer hausinternen Konferenz gesprochen. Dies stellt die Weiterentwicklung und Evaluation sowie die Einbindung von Partizipation in den Alltag sicher.

Vorgehen bei Beschwerden:
Die Einrichtung verfügt über ein strukturiertes, transparentes und schriftlich fixiertes Beschwerdemanagement: In den Gruppen hängt ein Kummerkasten. Dieser bietet die Möglichkeit zur Beschwerdeäußerung. Über ein festgelegtes Verfahren werden die dort eingereichten Beschwerden ausgewertet: Der Beschwerdebriefkasten wird vor der Jugendkonferenz (einmal wöchentlich) von dem Gruppensprecher und der Gruppenleitung geleert. Gemeinsam werden die Beschwerden gesichtet. Der Gruppensprecher macht Vorschläge, wie mit den Beschwerden umgegangen werden könnte, ggf. erhält er dabei Unterstützung von der Gruppenleitung. In der JuKo stellt der Jugendliche die Beschwerden vor und die Gruppe bespricht diese mit allen Jugendlichen und den Betreuern. Kommt es zu einer Einigung, wird die erarbeitete Lösung umgesetzt. Kommt es zu keinem Konsens, wird die Beschwerde an die Leitung weitergeleitet.
Zusätzlich zu dem Kummerkasten bietet sich der Bezugsbetreuer dem Kind/ Jugendlichen als Beschwerdeempfänger an.
Die Gruppenleiter weisen in jeder JuKo auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Beschwerdemanagementes hin.
Die eingegangenen Beschwerden werden von den Gruppenleitern in einem hausinternen Dokumentationssystem dokumentiert. Alle drei Monate werden die gesammelten Beschwerden von der Psychologin auf einer Konferenz vorgestellt und evaluiert.

 

Lüneburg, den 26.06.2012
Dipl.-Psych. Beate Recke